Interview mit Videoproduzent Darko Skulsky: »Ich habe kein Problem damit, wenn Musiker die Ukraine für ihre PR benutzen« - DER SPIEGEL

Darko Skulsky produzierte Musikvideos für Stars wie Coldplay, Ed Sheeran, Florence & The Machine – die meisten in der Ukraine. Warum das Land noch vor dem Krieg für ihn das »gewisse Andere« hatte.
Szene aus dem Musikvideo zu »Free« von Florence & The Machine (Screenshot)

Szene aus dem Musikvideo zu »Free« von Florence & The Machine (Screenshot)

SPIEGEL: Herr Skulsky, rund 25 Jahre lang hatten Sie Ihr Büro mit der Produktionsfirma Radioaktive Film in Kiew, im Februar sind Sie nach Polen geflohen. Wie fühlt sich dieser Abschied an?

Skulsky: Die meiste Zeit meines Lebens habe ich in der Ukraine verbracht. Hier habe ich meine Produktionsfirma wie auch meine Familie gegründet. Die Ukraine hat mir also persönlich viel gegeben. Ich will deshalb auf jeden Fall zurück. Die Frage ist aber natürlich, wann.

SPIEGEL: Aufgewachsen sind Sie in den USA. Welchen Eindruck hatten Sie von Kiew, als Sie 1995 zum ersten Mal dorthin kamen?

Skulsky: Ursprünglich komme ich aus Philadelphia, dort ging ich zur Schule. Als ich zum ersten Mal in dieses Post-Sowjet-Europa kam, war das für mich deshalb erst einmal ein Kulturschock. Ich sprach zwar die Sprache, fühlte mich aber definitiv nicht als Einheimischer. Damals hatte ich auch gar keine Pläne, in der Filmindustrie zu arbeiten.

SPIEGEL: Wie sind Sie dort hängengeblieben?

Skulsky: In die Ukraine wollte ich ursprünglich nur für ein Jahr. Mein Großvater, ein Unternehmer im Bereich der Öl- und Gasindustrie, hatte mir dort vorübergehend einen Job beschafft. Kurz bevor ich zurückkehren wollte, kam eine Werbeagentur auf mich zu und fragte, ob ich sie unterstützen möchte. Ein paar Monate später produzierte ich mein erstes Video. Meine ersten Aufträge für Musikvideos bekam ich aus Deutschland, von Musikern wie DJ Tomcraft. Mit Werbefilmen hatte ich eigentlich gar keine Erfahrung. Im Lauf der Jahre aber knüpfte ich immer mehr Kontakte, reiste zu Werbe- und Filmfestivals. Dadurch bekam auch immer mehr internationale Aufträge.

SPIEGEL: Zu Ihren Kunden gehören Stars wie Coldplay, Moses Sumney, Beardyman. Zuletzt waren Sie unter anderem an der Produktion der Musikvideos von Ed Sheeran (»2Step«) sowie Florence & the Machine (»Free«, »Heaven is Here«) beteiligt. Was machte die Locations in der Ukraine so attraktiv?

Skulsky: In der Ukraine gibt es zunächst einmal eine Vielzahl unterschiedlicher Locations. Keine immer gleiche Baukastenarchitektur, sondern das gewisse »Andere«. In Kiew findet man Gebäude aus der Zeit des sowjetischen Brutalismus, Betonblöcke der 1970er- und 1980er-Jahre. Aber auch Häuser, die traditionelle Architekturformen zeigen.

SPIEGEL: Und die finden sich nur in der Ukraine?

Skulsky: Seit ein paar Jahren produzieren wir auch Filme in Polen und Georgien. Bis zuletzt hatten wir aber Aufträge hauptsächlich für Kiew – allein letztes Jahr produzierten wir 240 Werbefilme in der Ukraine, Musikvideos inklusive. Auch Polen eignet sich gut für Werbefilme. Dort gibt es schöne Natur, so etwas ist beliebt in der Automobilindustrie. Städte wie Warschau verbreiten außerdem an manchen Orten ein ähnliches Flair wie zum Beispiel Berlin. In Polen finden sich deshalb oft günstige Doubles für andere Orte. In der Ukraine aber bekommen Kunden einen Look, den sie sonst nicht finden.

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SPIEGEL: Trotzdem fällt auf: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine zeigen sich ungewöhnlich viele Musiker mit Videos von Locations in der Ukraine. Ist das Zufall, ist das PR – oder hatte sich die Ukraine tatsächlich als beliebter Ort für Musikvideos etabliert?

Skulsky: Dreharbeiten in der Ukraine waren lange vorher beliebt und für viele zur Normalität geworden. Für Musiker war das eine bequeme Option, unsere Firma verfügt nach 25 Jahren Erfahrung über zahlreiche Kontakte. Unser letztes Musikvideo in Kiew produzierten wir außerdem schon letztes Jahr, und damit lange bevor der Krieg begann. Das war das Video mit Ed Sheeran. Im Januar folgten noch ein paar Aufträge für Disney+. Das war’s, danach haben wir alle ausstehenden Projekte nach Polen verlegt.

SPIEGEL: Wie haben sich die Locations in den letzten Jahren mit zunehmender Popularität verändert?

Skulsky: Die Locations haben sich nicht so sehr verändert. Eher die Ansprüche an unsere Arbeit. Zu unseren Kunden gehören Unternehmen wie Apple, Hugo Boss und Lacoste. Heute verfügen wir über eine umfassende Datenbank an Locations in der ganzen Ukraine, aber unsere Mitarbeiter waren bis zuletzt immer noch täglich auf der Suche. An einem Video arbeiten wir manchmal über mehrere Monate. Die Produktionen für »Florence & The Machine« waren zum Beispiel irre aufwendig. Wir mussten eine geeignete Location finden, brauchten Kostüme, die passenden Requisiten. Bei Ed Sheeran lief das ein wenig unkomplizierter.

SPIEGEL: Für welche Drehorte genau haben Sie sich hier entschieden?

Skulsky: Das Video mit Ed Sheeran haben wir an zwei unterschiedlichen Locations gedreht: teilweise an einer Straßenkreuzung im Kiewer Stadtteil Poznyaki, teilweise an der Schewtschenko-Universität, im Gebäude der Fakultät für Kybernetik.

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SPIEGEL: Das Video zeigt Sheeran bei Dunkelheit auf einer Straße, dahinter Hochhausfassaden. Auch die Räume im Video »Free« von Florence & The Machine sehen düster aus, erinnern ein wenig an leer stehende Häuser nach dem Tschernobyl-Unglück. Überhaupt wirken Orte in der Ukraine in Musikvideos oft postapokalyptisch. Ist das Land sehr mit Klischees von Untergang behaftet?

Skulsky: Das kann schon sein. In der Ukraine gibt es ja tatsächlich viele Locations, die bis heute leer stehen und verlassen sind. Andere Gebäude wurden nie fertiggestellt. Stereotype gibt es aber überall und für jeden Ort.

SPIEGEL: Heute bekommt »Untergang« vor dem Hintergrund des Ukrainekonflikts eine neue Bedeutung. Besteht da eine Gefahr, dass Locations der Ukraine – als heutige Kriegsschauplätze – für persönliche PR benutzt werden?

Skulsky: Ich habe kein Problem damit, wenn Musiker die Ukraine für PR benutzen. Wenn ukrainische Locations sich für sie als tauglich erweisen, dann soll das so sein.

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SPIEGEL: Wie haben sich die Locations und damit auch Ihre Arbeit seit dem Beginn des Ukrainekriegs verändert?

Skulsky: Meine Familie und ich haben das Land sicherheitshalber schon am 15. Februar verlassen, noch bevor Russland seinen Angriff startete. Die Situation in der Ukraine fühlte sich schon damals seltsam an, da lag etwas in der Luft. In Polen habe ich seit Jahren ein weiteres Büro, wir haben deshalb alle Aufträge aus der Ukraine mitgenommen. Im Ausland wollen wir weiterwachsen, neue Märkte erschließen. In den letzten Jahren war das durch die Covid-Pandemie erschwert. Unsere ukrainischen Mitarbeiter versuchen wir zu unterstützen so gut wir können.

SPIEGEL: Wie gut funktioniert das?

Skulsky: Viele Kollegen gingen ebenfalls ins Ausland: einige nach Polen, andere nach Deutschland, Spanien, Rumänien oder Großbritannien. Wir versuchen sie irgendwie unterzubringen. Die Produktionsfirma Twentyfour Seven bot beispielsweise einigen unserer Mitarbeiter an, ihre Büros in Spanien und Portugal mitzubenutzen. Nicht alle Kollegen aber konnten die Ukraine verlassen, manche hatten keine Wahl. Und manche blieben auch aus persönlicher Überzeugung. Wir stehen mit ihnen in Kontakt und hoffen, in der Zukunft unsere Arbeit dort fortsetzen zu können.

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