Bayreuther Festspiele: hier wird der Ring übertragen - WELT

Wenn in Bayreuth ein neuer „Ring“ aufgeführt wird, rappelt es in der Opernwelt. Da können sich alle anderen Häuser noch so sehr bemühen – die Inszenierungen im Festspielhaus elektrisieren. Und manchmal fließt sogar Blut. Auf der Bühne sowieso. Aber auch im Publikum. Peter Huth, der seit vielen Jahren die Festspiele besucht, wird in einem Live-Ticker über die „Ring“-Woche berichten – von Samstag, 30. Juli 2022, dem Tag vor der Premiere des „Rheingold“, bis zum 6. August, dem Tag nach der „Götterdämmerung“, dem Tag der Abrechnung.

02.13 Uhr - Eine erste, vorsichtige Einschätzung

„Und ich dachte, ich würde das Stück kennen“, sprach mein Freund P., der über jeden Wagner-Zweifel erhaben ist, nach einem der vielen Vorhänge des Schwarz-„Rheingold“. Und tatsächlich: das, was der 33jährige Österreicher aus der Exposition des Rings gemacht hatte, war wirklich neu, irritierend, spannend. Regietheater, Bayreuth-Werkstatt par exellence.

Mit einer Ursuppenszene beginnt es. Zwei mäandernde Fleischschnüren auf formatfüllender Projektion: ist es DNA, ist es ein nicht definierbares Dings? Nein, bald werden daraus Nabelschnüre, zwei Föten tanzen, schmusen, umgarnen einander. Immer, wenn auf Bühnen die Projektion raumfüllend wird, könnte man einen Theatergag unterstellen, doch dann sticht der eine Vorgeburtliche dem anderen ins Auge. Blut wabert, aber es ist nicht fürchterlich, sondern eher eine flüchtige Berührung. Trotzdem wird einer sein Auge verlieren: das ist Wotan, der Lichtelbe, der andere ist Alberich, der Dunkle. Sind sie Geschwister? Wir wissen es noch nicht.

Das ist da Vorspiel. Der Vorhang hebt sich und offenbart ein Freibad. Drei Nannies, es sind die Rheintöchter, hüten acht brave Mädchen und einen störrischen, stummen, in sich gekehrten Knaben. Sie sind das Gold, um dass es gehen wird in den nächsten Abenden und eigentlich immer.

Wie eine „Netflix“-Serie wollte Valentin Schwarz den Ring inszenieren – und dann doch nicht – und hat es dann doch getan. Es geht, so darf vermutet werden, im Zentrum der Interpretation um eine Familiengeschichte, um Erben und um Sicherstellung der Blutlinien. Das wäre eine Geschichte, wie sie Reed Hastings Streaming-Imperium schon etliche Male verfilmt hat – aber noch nie so schön. Und so brutal.

Denn die Kinder, um die Götter und Zwerge und Riesen und auch ihre Beschützer ringen, sind wehr- und hilflos. Sie werden von den Erwachsenen, Großen (den tatsächlichen Riesen), Übermüttern, hin- und hergezerrt, sind mal bei diesen, mal bei jenen zuhause.

Der Junge, ein freies, wildes Kind (gerade, wie es sich Wotan wünschen und in Siegfried drei Opern später verwirklichen wird) scheint keine Bindung zu haben, so lange er tun kann, was er will in einem gläsernen Labor-Käfig Farbe zu verschmieren und die Bilder seiner Schwestern (?) zu zerreißen – einer achtköpfigen Schar von braven, blondbezopften Mädchen.

Sie alle sind nur hübsche Spielbälle von Rheintöchtern, Göttern, Zwergen, werden mal hier- mal dorthin gestoßen und verscherbelt - doch Schwarz ist so klug, hier keine oberflächliche Story von Missbrauch zu erzählen sondern lässt weiten Raum für das, was da kommen mag. Denn die Kinder sind die Macht. Sie sind das Rheingold, der Schatz und der Tarnhelm und auch der Ring.

Das ist neu. Der Ring war schon vieles (Kraftwerk, Öl, Gas oder einfach ein Stück Gold) in all den Inszenierungen. Aber ein Kind, und ein Kind ist die Zukunft, war er noch nie. Wie gesagt: Kinder sind die Macht. Und die Sehnsucht. Denn das Walhall der Schwarz-Götter ist bereits erbaut: eine düstere Bungalow-Bude für nihilistische Weltenlenker, denen Tenniskleidung und angedeutetes Golf schon physische Selbstversicherung genug zu sein scheinen. Diese Lenker streben nicht nach Veränderung, höchstens nach leidlicher Verbesserung. Der Einzug nach Walhall ist nicht mehr als etwas mehr Licht im Luxus-Bau. Wieviel heller schien da doch der laborartige Schwestern-Kerker („Stranger Things“ anyone?) in Niebelheim?

Schwarz geht all in. Er deutet an, täuscht vor, nimmt Vieles voraus, einiges, was im Libretto gar nicht vorkommt. Das mag sich in den kommenden Abenden auflösen. Nein: es muss! Der kleine Junge, frei und wild, wie es nur der Mensch sein kann, den Wotan erst schaffen wird – er könnte Hagen sein, Alberichs Sohn, den der Allvater ersehnt, dessen Vision er hier erkennt. Das rheingoldene Mädchen, das die Urmutter Erda an der Hand von der Bühne führt, das könnte Brünnhilde sein. Oder werden.

Den Kindern gehört die Zukunft, sie bestimmen die Zukunft all der Göttlichen. Sie sind der Schatz des ewigen Urstroms.

Das ist faszinierend. Und verwirrend – denn vieles, was das Libretto vorschreibt, wird verschlampt: Walhall als Hort der Macht und des ehelichen Friedens, als erstrebenswerte Vision. Das Aufwiegen Freias in rheingoldenem Gegenwert. Das Fehlen der geknechteten Nibelungen.

Anderes scheint zu viel: die Knarren. Jeder weiß: wenn jeder eine Waffe führt, ist es nur Theater.

Aber wir sind erst am Anfang. Wo man sich bei Castorf dem Rausch der Bilder hingeben konnte und erst gar nicht nach einem Schlüssel suchte, ist hier die Lust geweckt, allem einen Sinn zu geben.

Es wird spannend in Bayreuth. Es macht Lust auf mehr. Wie eine gute Netflix-Serie.

Wow.

20.55 Uhr - Wotan und die drei ???

Jetzt ist es viel früher geschehen als gedacht: Bitte vergessen Sie alles, was ich bisher geschrieben habe. Vor allem den Unsinn, den ich in die Bilder aus dem Programmheft reingedeutet habe. Die Premiere des „Rheingolds“ war ein richtig, richtig, richtig guter Opernabend, schnell, klug, interessant - und er gibt, so ist es ja Aufgabe des Vorabends, so viele Rätsel und Fragen auf, die man in den nächsten Tagen entschlüsseln möchte. Nein: muss. Sucht.

Zur ersten Analyse lassen Sie mir bitte noch etwas Zeit. Das war einfach zu gewaltig, um es mal kurz so aufzuschlüsseln. ich bereue jetzt schon die Stunde, in der ich mir praktisch meinen eigenen Wotan-Speer geschnitzt habe, indem ich Ihnen eine Akt-für-Akt-Kritik versprochen habe. Meine ersten Irrtümer werden nicht die letzten sein. Aber es gibt Spuren. Ich melde mal Copyright auf die Schlagzeile „Kinder sind die Macht“ an. Siegmund und Sieglinde, Hagen und Brünnhilde, all die Nachfahren der Licht- und Dunkelelben Wotan und Alberich hatten schon ihren Auftritt.

Valentin Schwarz macht, was er versprochen hat: er erzählt die Familiengeschichte und lotet tief aus - so, wie es vor ihm noch keiner getan hat. Nicht inszenatorisch, sondern von der Idee. Später mehr. Wahrscheinlich viel mehr.

Hier ganz schnell zur Musik: Cornelius Meister, der Einspringer, meistert (jaja) das „Rheingold“ spitzenmäßig. Den meisten Applaus bekommen Alberich Olafur Sigurdason und Erda Okka von der Damerau. Zurecht. Überhaupt: irrsinnig viel Applaus für Dirigat und Sänger. Und echte eine Menge Buhs für die Inszenierung. Beste Voraussetzung für einen Klassiker. Jetzt erstmal ein Bier. Ernsthaft.

17.31. Uhr - Jetzt geht´s ins Festspielhaus

Wir sehen uns auf der anderen Seite

17.24 Uhr - Bayreuth-Wissen: Posaunen

Statt des üblichen Theatergongs, der das quirlige Publikum auf die Sitzplätze beordern soll, gibt es in Bayreuth eine Bläsergruppe. Deren Posaunen auf dem Balkon des Festspielhauses kündigen 15 Minuten vor jedem Akt an, dass es Zeit ist, den Prosecco und die Erdbeeren abzustellen und in den Saal zu eilen.

16.39 Uhr - Kleine Walküren, kleiner Hagen

Das sieht doch richtig gut aus! Die ersten Fotos aus der Inszenierung kann man nun im Programmheft sehen und sie versprechen jede Menge intensive Regiearbeit. Schwarz hatte ja angekündigt, die Figuren und ihre Motive tiefer auszuleuchten. Also auch die Origin-Stories der Figuren zu erzählen, wie es im Netflix-Jargon heißen würde. Was also sieht man? Die Walküren als Kinder, beschützt von Wotan, einen kleinen Hagen. Das erzählt mehr als Wagner. Dazu - vermutlich - den Giebichungen-Hof, ein Jahrmarkt der (gescheiterten) Eitelkeiten, symbolisiert durch Schönheits-Operations-Verbände. Und Alberich ist bewaffnet - mit einer Pistole. Wie gesagt: Das macht einfach Lust auf den Abend. Langweilig wird es nicht. Ich bin gespannt, wie das Publikum es sieht.

Walküren (jung), Alberich, Hagen (vermutlich)
Walküren (jung), Alberich, Hagen (vermutlich)
Quelle: Peter Huth
Alberich und die Rheintöchter
Alberich und die Rheintöchter
Quelle: Peter Huth


Klassische Brünnhilde
Klassische Brünnhilde

16.14 Uhr - Und so sehen die Karten aus

Rheingold
Quelle: Peter Huth
Siegfried
Quelle: Peter Huth
Und die Götterdämmerung
Und die Götterdämmerung
Quelle: Peter Huth

15.37 Uhr - Taxifertig

Auf in den Kampf
Auf in den Kampf
Quelle: Peter Huth

15.12 Uhr - Der BR überträgt den ganzen Zyklus

Wer nicht sehen kann, soll hören: BR-Klassik überträgt den gesamten Zyklus des Schwarz-Rings. Nicht live, sondern zeitversetzt. Also: „Rheingold“ heute um 20.04 Uhr, die „Walküre“ morgen zur gleichen Zeit, ebenso am Mittwoch den „Siegfried“ und am Freitag die „Götterdämmerung“.

Die kann man sich auch ansehen, ab 16 Uhr im Livestream auf BR-Klassik Concert. Wer am Freitag keine Zeit hat, schaltet am nächsten Tag um 20.15 Uhr zur Aufzeichnung, ausgestrahlt bei 3SAT, ein.

14.44 Uhr - Der Vorabend: Das „Rheingold“

„Rheingold“ wird die Geschichte um den „Ring des Nibelungen“ und das Ende der Götter angelegt. Die grundlegenden Konflikte aufgezeigt, die Figurenkonstellationen entwickelt und die Motive dargelegt.

Der Nibelung Alberich will sich (mindestens) eine Rheintochter angeln, doch die wollen von ihm nichts wissen. Verzweifelt raubt er ihnen den anvertrauten Schatz (das Rheingold), da er denkt, sich von dem schönen Geld später (körperliche) Liebe kaufen zu können. Der Diebstahl gelingt ihm nur, nachdem er der (romantischen) Liebe entsagt. Die Rheintöchter sind zu Tode erschrocken – denn alles Gleichgewicht ist durch den Raub zerstört.

Aus dem Gold lässt sich Alberich von seinem Bruder Mime einen Tarnhelm und einen Ring schmieden. Der Helm verwandelt ihn in wen immer er sein will, der Ring verleiht ihm unendliche Macht. Lange währt das Glück nicht. Die Götter Wotan und Loge stehlen ihm (unter Anwendung eines auch aus „Aladin und die Wunderlampe“ bekannten Tricks) den Schatz, den Helm und schließlich auch den Ring, den Wotan Alberich vom Finger reißt. Woraufhin Alberich Ring und alle seine Träger verflucht. Vielleicht etwas voreilig, aber das wird sich noch zeigen.

Mit dem Schatz wollen die Götter die Brüder Fafner und Fasolt zu bezahlen, zwei Riesen, die den Göttern eine Burg (Walhall) gebaut haben. Die soll Machtsymbol (so denkt es sich Wotan) und heimeliger Familienstammsitz (das Kalkül der Wotan- Gattin Fricka, die der ständigen Seitensprünge überdrüssig ist) werden. Ursprünglich hatte der Sold für die Bauarbeiten die Göttin Freia sein sollen, Gärtnerin der Unsterblichkeit bergenden goldenen Äpfel. Außerdem ist Freia Wotans Schwägerin. Beides macht es unmöglich, sie den Riesen zu überlassen (obwohl der arme Fasolt ganz schwer verliebt in sie ist) – also handelt Loge, der Gott der List und der Lüge (viele sagen, die einzige Ring-Figur, die bei Verstand ist) das Rheingold als neues Zahlungsmittel aus. Selbstbewusst fordern bei der Bauabnahme die Riesen neben dem Schatz allerdings auch Helm und Ring. Wotan muss – als Hüter aller Verträge und hier in Doppelfunktion Richter und Partei – einwilligen.

Doch kaum ist der Schatz übergeben, erschlägt Fafner Fasolt (Fluch-Opfer Nummer 1) im Streit um den Mammon und verwandelt sich in einen Drachen, der sich, unbesiegbar und mächtig, in eine Höhle zurückzieht, um seinen Schatz dort zu hüten. Die Götter marschieren über eine Regenbogenbrücke in die Burg Walhall ein. Das „Rheingold“ ist geraubt, die alte Ordnung massiv gestört, der Friede aber nur oberflächlich und brüchig. Die Götter sind trotzdem bester Laune – bis auf Loge, dem Ungemach schwant. Was ihm aber auch nur ganz Recht ist, er hat als Vetter von Alberich Aktien in beiden Sippen.

13.49 Uhr - Ich hatte einen Alptraum

Die Spannung steigt. In gut vier Stunden öffnet sich der Vorhang und wir bekommen einen erstes Bild von Schwarzens Vision des Rings. Man hat immer ein bisschen Magengrummeln. Denn es kann ja sooo viel schiefgehen - vor allem, wenn die Regie zwanghaft versucht, aktuelle Bezüge in die Inszenierung einzubauen. Meine derzeitige Top Ten der denkbar grausamsten Regiemätzchen (DGRM) hier als kleines Schmankerl zum Sonntagnachmittagskaffee.

(Und klar ist übrigens auch, dass wir nichts davon heute Abend und in den kommenden Tagen erleben werden.)

- Alberich mit einer strohblonden Donald-Trump-Perücke

- Fafner hortet in Angela Merkels giftgrünen Kleid von der Premiere Schatz und Ring

- Feuergott Loge trägt ein T-Shirt der Münsteraner Kegeltruppe, die unter Verdacht stehen, eine Bar auf Mallorca angezündet zu haben.

- Die Rheintöchter sind als „Puffmutter Layla“ verkleidet

- Während Wotan Brünnhilde verstößt, werden Sanktionslisten eingeblendet

- Die Burg Walhall ist das Bundeskanzleramt

- Die von Alberich geknechteten Nibelungen tragen FFP-2-Masken

- Freia ist als Olena Selenska verkleidet, statt mit Gold wird sie hinter kleinen Panzern verborgen.

- Irgendwas mit der „SS“.

- Der Rhein ist eine Nordstream-1-Pipline (obwohl…)

13.07 Uhr - Corona stoppte den Meisterdirigenten

Neben den Umbesetzungen war dies der größte Schock, ein paar Tage vor dem Beginn der Hauptproben und nur gut drei Wochen war der Premiere des „Rheingold“: wegen einer Corona-Erkrankung musste Meisterdirigent Pietari Inkinen absagen. Dabei war man auf seine Interpretation des Rings extrem gespannt.

Nach Bekanntwerden der Krankheit wurde Inkinen bei den Proben sofort von Cornelius Meister ersetzt, einem 42jährigen Maestro, der auch gerne mal auswendig dirigiert. Das Problem: Meister sollte eigentlich auch die Premiere der Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ am Eröffnungstag vergangenen Montag leiten. Doch Ring und „Tristan“ – das ist einfach zu viel. Er hätte praktisch die ganzen Festspielwochen durchdirigieren müssen. Also gab er die große Liebesoper an Markus Poschner ab und widmete sich komplett der Tetralogie.

Poschner brillierte mit dem „Tristan“, wie auch meine alte Wagner-Gefährtin Annemarie (die in Wirklichkeit Barbara Angerer-Winterstetter heißt), fand.

So scheint sich alles – auch dank guter Vorbereitung und einer soliden Plan-B-Politik der Festspielleitung – doch zum Guten zu fügen.

12.07 Uhr - Ganz Bayreuth ist mein Büro

Dummer Flüchtigkeitsfehler im letzten Text. Gottseidank hat Freund und Leser Marcus Lobbes in bemerkt. Wird gleich vor Ort behoben. Die ganze Stadt ist mein Büro.

Wunderwelt der Technik
Wunderwelt der Technik
Quelle: Peter Huth

11.46 Uhr - So viele Wotans waren noch nie

Der Ring, den wir in diesem Jahr sehen, sollte also eigentlich schon 2020 Premiere haben, Grund für die Verschiebung war – wenig überraschend – die Corona-Pandemie. 2020 fielen die Festspiele aus, 2021 war Bayreuth eine wackelige Sache – zu ungewiss für das Mammutprojekt Ring. Doch Corona warf und wirft auch in diesem Jahr lange Schatten über die Bayreuther Bruthitze.

Schon vor einem Jahr sagte Günther Groissbock ab. Er sollte den Wotan singen, zweifelte aber daran, nach der langen Corona-Pause die erforderliche Qualität zu bringen. Sehr ritterlich. Als Ersatz wurde John Lundgren annonciert, der eigentlich den Alberich geben sollte. Doch auch der sagte vor knapp zwei Monaten ab – aus „persönlichen Gründen“, was auch immer das bedeutet. Nun gibt es zwei Wotans: Eglis Silins singt im „Rheingold“, Tomasz Konieczny in „Walküre“ und „Siegried“ (dort genau genommen als „Wanderer“).

Konieczny ist eine Art Super-Joker auf dem Grünen Hügel: er sprang schon 2021 für Groissböck in der letzten „Walküre“ des Castorf-Rings ein.

Brünnhilde wird von Iréne Theorin dargestellt, die seit 2000 in Bayreuth singt. Allerdings 2022 nur in „Walküre“ und „Götterdämmerung“. Im „Siegfried“ singt Daniela Köhler diesen Part.

Auch den Siegfried gibt es doppelt: In „Siegfried“ wird man Andreas Schager, in der „Götterdämmerung“ Stephen Gould sehen. Immerhin Alberich wird von einem durchgehenden Interpreten gegeben: Es ist Olafur Sigardarson. Das alles ist nicht wirklich ideal, aber es kann auch positive Aspekte haben: weniger Vorstellungen, mehr Kraft. Man wird sehen. Und hören.

11.28 Uhr - Bayreuth-Wissen: Dresscode (inoffiziell)

Alle guten Sitten verkommen ja, da ist allgemein bekannt. Und so sieht man auch in der Premierenwoche auf dem Hügel schon eine Menge Herren, die in hellen Anzügen oder sogar in T-Shirts in den Saal strömen. Dabei ist der Dresscode (obwohl es offiziell keinen gibt) klar: Im Eröffnungszyklus, vor allem am 25. Juli, der ersten Vorstellung, tragen die Damen festliche Robe, die Herren Smoking. Und das sollte auch in der kommenden Woche so bleiben.

In den nachgeordneten Zyklen sollte die Garderobe fein sein, aber nicht mehr festlich. Also mindestens dunkler Anzug mit Krawatte und ein schönes Abendkleid.

Mein persönlicher Tipp: Alles am besten eine Nummer größer kaufen. Bayreuth im Sommer ist heiß, das Festpielhaus, nicht klimatisiert, wird zum Brutofen. Man schwitzt den Pausenchampagner sofort wieder aus. Da ist man froh, wenn Hemd und Smokingjacke etwas weiter geschnitten sind.

Obwohl es zuweilen getan wird: es ist nicht wirklich erwünscht, im Saal die Jacke abzulegen. Das Weiß der Hemden bricht die Dunkelheit und stört die Immersion.

11.08 Uhr - Still ruht der Hügel

Wie üblich marschiere ich schon am Vormittag auf den Hügel, ich bin einfach wahnsinnig gerne hier. Das Festspielhaus brütet noch still in der Sonne, Touristen machen Fotos, unterhalten sich dort („Ist das nicht immer das Gleiche?“ - „Nein, es ist immer anders!“ - „Aha.“ - „Ja wissen´s ich bin gelernte Kostümbildnerin, habe den Beruf aber nie ausgeübt.“) und machen Fotos. Auf dem Boden vor dem Portal kleben noch die Positionsmarker für Fotografen und Kameraleute von der Premiere am vergangenen Montag. Heute wird es keinen Roten Teppich geben. Der Star sind nicht die Zuschauenden (gegendert!), sondern die Inszenierung.

Das Festspiel wird zur Zeit renoviert, soll 2026 fertig sein
Das Festspiel wird zur Zeit renoviert, soll 2026 fertig sein
Quelle: PEter Huth

Ausserdem kann ich meinen Arbeitsplatz abchecken, ein Schließfach reservieren (Laptop darf nicht mit ins Haus), strategisch günstige Wege zwischen Ausgang, Bar und Schreibplatz aushecken. Und das Netzwerk testen. Die Karten bekomme ich übrigens erst zwei Stunden vor der Vorstellung, weiß also nicht, wo ich sitzen werde. Ein großes Thema ist das nicht - das Haus ist so konzipiert, das man von überall aus gut sieht.

10.12 Uhr - Bayreuth-Wissen: Applaus (II)

Den längsten Applaus mit 90 Minuten gab es bei der allerletzten Vorführung der „Götterdämmerung“ von Patrice Chereau – dazu die unfassbare Anzahl von 101 Vorhängen. Bei der Premiere fünf Jahre zuvor hatte es dagegen noch einen nie da gewesenen Sturm an Entrüstung gegeben. Für traditionelle Wagnerianer war die Inszenierung eine Unverschämtheit – wir kommen noch darauf zu sprechen. Die Wut 1976 war so groß, dass eine Dame einer anderen den Ohrring aus dem Läppchen riss!

10.01 Uhr - Ne, das ist der „Herr der Ringe“, liebe Kollegen...

Mit diesem Cover macht die Festspielzeitung „Richard´s“ auf. Sieht eher aus wie „Herr der Ringe“ und nicht „Ring des Nibelungen“. Eine hübsche Filmplakat-Ästhetik. Mit dem naturalistischstem Drachen aller Zeiten. Aber mit der Inszenierung von Valentin Schwarz hat das, wie man hört, nichts zu tun.

Ist es ein Schwert? Ist es ein Ring?
Ist es ein Schwert? Ist es ein Ring?
Quelle: Peter Huth

8.49 Uhr - Bayreuth-Wissen: Applaus (I)

So begeistert die Wagnerianer sind, so sparsam sind sie mit dem Applaus. Beim Ring sollte man grundsätzlich am besten nur nach dem Schlussvorhang der „Götterdämmerung“ so richtig von Herzen Klatschen (oder Buhen) und somit die gesamte viertägige Inszenierung würdigen (oder seinem Ärger Luft machen). Eher den Leistungen der Sänger als dem Gesamtkunstwerk gilt der Applaus nach den Akten und am Schluss der einzelnen Abende.

Ausnahme: Wer nach dem ersten Akt des „Parsifal“ meint, das Dargebotene durch Körperkrach kommentieren zu müssen, wird gnadenlos ausgezischt. Da hat Ruhe zu herrschen, wer es trotzdem tut, könnte genauso gut mit einem Batik-T-Shirt im Publikum sitzen (auf der Bühne wäre das – je nach Inszenierung – durchaus okay).

Natürlich auch absolut undenkbar ist Applaus nach einzelnen Stücken wie „Walkürenritt“, „Wonnemond“ oder „Trauermarsch“.

8.14 Uhr - Nach zwei Jahren glänzt endlich das „Rheingold“

Guten Morgen aus Franken! Das Wetter noch etwas grau, doch im Frühstücksraum nur voller Vorfreude lächelnde Gesichter.

Als Katharina Wagner auf der Pressekonferenz 2019 Valentin Schwarz als Regisseur des nächsten „Ring des Nibelungen“ vorstellte, gingen wir alle noch davon aus, dass die Produktion ein Jahr später auf die Bühne kommen würde. Dann kam das Virus, 2020 fielen die Festspiele ganz aus, nur eine Schar Trotziger (ich auch) pilgerte trotzdem nach Bayreuth. 2021 waren Programm und Zuschauerzahlen deutlich reduziert. So hatte Valentin Schwarz (mit dessen Arbeit man auf dem Hügel sehr zufrieden sein soll, wie mir ein Waldvöglein sang) drei Jahre Zeit zur gedanklichen und konzeptionellen Vorbereitung auf das, was heute Abend endlich Premiere hat.

Um 18 Uhr startet das „Rheingold“, der Vorabend zum „Ring des Nibelungen“, also sehr streng genommen keine komplette Ring-Oper. Das Stück ist mit knapp 2,5 Stunden auch überschaubar kurz - daher der späte Beginn. Dafür gibt es keine Pause.

21.56 Uhr - Wir sind müde. Ja. Aber die Spielregeln von Bayreuth müssen noch erklärt werden

Richard Wagner schuf die Festspiele als Werkstatt: hier sollten die Besten ihrer Zunft und Ihrer Zeit seine Werke auslosten, inszenieren, aufführen. Vier bis fünf Jahre darf sich jedes Team aus Regisseur und Dirigent versuchen, dabei von Jahr zu Jahr verbessern und ändern. Es kann also sein, dass sich der Premieren-Zyklus einer Oper deutlich von der letzten Aufführung unterscheidet.

Zum Vortrag kommen nur die zehn großen Opern Wagners – vom „Fliegenden Holländer“ bis zum „Parsifal“. „Die Feen“ und „Rienzi“ werden in Bayreuth nicht gespielt.

1876, bei den ersten Festspielen, inszenierte Wagner noch selbst. Gezahlt hat er seinen Darstellern und Mitarbeitern nichts bis wenig. Nach seiner Ansicht war die Teilnahme an den Festspielen Ehre und Auszeichnung genug. Immerhin Kost und Logis gab es gratis.

Das hat sich grundsätzlich bis heute kaum geändert: Reich wird keiner der Künstler, die die spielfreien Sommermonate in Franken verbringen. Dafür gilt die Einladung auf den Grünen Hügel als Ritterschlag.

Morgen: Wer musiziert und wer nicht; warum der Dirigent, auf den alle zwei Jahre gewartet haben, fehlt; warum wir keine Felle auf dm Grünen Hügel mehr sehen, meine persönliche Alptraum-Inszenierung (wie es also wäre, wenn Facebook den Ring in Szene setzte), erster Tratsch aus den Proben; Genaueres über das „Rheingold“ und natürlich der erste Tag des neuen Rings!

21.20 Uhr - Bayreuther Seligkeit

Die Konversationsregeln in der „Lohmühle“ (und in allen Wagner-Hotels) sind ganz einfach: wenn man Nachbartisch so laut gesprochen wird, dass es am eigenen Tisch zu hören ist, gilt das als Einladung, sich ins Gespräch einzumischen. Weil viele Gäste schon so weit im Alter fortgeschritten sind, dass sie ohnehin sehr laut reden, ist das praktisch immer der Fall. Noch sind die Themen wenig heikel: Wespen, Krustenbraten, wo kommen sie her? Bald allerdings geht es schon sachte ans Eingemachte, über drei Tische hinweg.

Ja, also die Kosky-Inszenierung der „Meistersinger“! Der erste Akt war ja noch gut, aber dann, mit diesem großen Wagner-Köpfen. Wir wissen ja nicht. - Doch, ist sein Thema, muss er so machen. - Und der „Tannhäuser“? - Naja. Schon gewöhnungsbedürftig - Fand ich ganz hervorragend. - Ach, dann haben Sie sicherlich auch ...

Dann geht es ganz schnell: wer hat was wann gesehen und wie hat man es gefunden. Die Inszenierungen der letzten Jahre werden durchgegangen, es geht über Bayreuth hinaus. Plötzlich stellt man fest, dass man mit einem Herrn, den man vorher noch nie gesehen hat, die „Parsifal“-Regie von Bernd Eichinger in der Berliner Lindenoper ganz hervorragend fand (bislang dachte man, man wäre der einzige gewesen und alle anderen hätten es fürchterlich gefunden). Abtasten ist das. Und nie angeben.

Bayreuth, ein geschützter Raum, ein Kokon.

19.48 Uhr - Der Ring für ganz eilige Leser

Machen wir es so lang wie nötig und kurz wie möglich. Das ist die Geschichte des Rings für ganz eilige Leser.

Alberich entreißt den Rheintöchtern das „Rheingold“, indem er der Liebe entsagt und schmiedet aus dem Geschmeide den Ring des Nibelungen. Wotan, der Obergott, luchst ihm das Geschmeide ab, verliert es aber an den Riesen Fafner, der fortan als Drache den Schatz hütet. Nicht ohne dass Alberich den Ring und alle seine zukünftigen Träger vorher verflucht hätte.

Um einen Heroen zu schaffen, der ihm den Ring wiedererlangen kann, begründet Wotan ein eigenes Heldengeschlecht, die Wälsungen. Allerdings durch Ehebruch. Das bringt seine Gattin Fricka auf die Palme und erschüttert Wotans Machtposition. Außerdem kommt es zum Bruch mit seiner Lieblingstochter, der „Walküre“ Brünnhilde. Die Wälsungen-Prototypen Siegmund und Sieglinde, überleben nicht lange, aber ihr durch Inszest genpooloptimierter Sohn „Siegfried“, der erste freie Mensch, erschlägt schließlich den Drachen Fafner, erringt Schatz, Ring und einen Tarnhelm.

Daran hat er aber wenig Interesse, umso mehr an seiner Halbtante Brünnhilde. Die schlummert, weil sie sich ihrem Vater Wotan widersetzt hatte (siehe oben), in einem Feuerkreis. Auf dem Weg, sie zu befreien, trifft Siegfried auf Wotan, zerschlägt seinen Speer, löst dadurch die Götterdämmerung aus und durchschreitet das Feuer. Er verliebt sich in Brünnhilde, sie sich in ihn. Er bekommt ihr Pferd, sie seinen Ring.

Auf Heldenfahrt gerät Siegfried kurze Zeit später an den Hof der Giebichungen, wo Alberichs Sohn Hagen für die Intrigen zuständig ist. Per Zaubertrank lässt er Siegfried a) Brünnhilde vergessen und b) diese (per Tarnhelm) von ihm für Hagens Halbbruder Gunter als Braut gewinnen und c) den Helden höchstselbst sich in die tumbe Gutrune verlieben. Die überraschte Walküre versteht die Welt nicht mehr, meldet Verrat an. Hagen bietet sich an, sie zu rächen und tötet schließlich in einem Komplott mit Gunter und Brünnhilde den Helden mit einem Speerhieb in den Rücken.

Wotan ist alles zu viel geworden, in tiefer Depression bereitet er die Verbrennung der Burg Walhall und den kollektiven Selbstmord der Götter vor.

Siegfrieds Leiche wird auf den Scheiterhaufen gelegt. Hagen ermordet Gunter im Streit um den Ring. In letzter Sekunde durchschaut Brünnhilde das Spiel und reitet auf ihrem Pferd Grane selbst ins Feuer – die Liebe siegt über den Erhalt der bekannten Welt.

Die steht bald in Flammen, der Rhein steigt über die Ufer, Brünnhilde wirft den Rheintöchtern den Ring zu, um den Fluch zu brechen. Hagen springt hinterher – und wird in die Tiefe gezogen. Der Fluch des Rings ist zwar gelöst, aber die Herrschaft der Götter ist für immer beendet.

18.24 Uhr - Fussball, CSD vorbei. Jetzt gilt’s der Kunst

Es war nur ein kurzer Bayreuther Traum, der vom Sieg gegen den HSV. 1:3 verlor die SpVgg an einem gar nicht mal so sommerlichen Samstagnachmittag, jetzt fluten die HSV-Fans die Innenstadt. Aber gesungen wird nicht, dazu war es zu knapp. Sie treffen auf die Übriggebliebenen des Christopher-Street-Days, der hier a) sehr kurz und b) vor allem ein Verkleidungsfest für fröhliche Jugendliche war. Was ja nicht unbedingt schlecht ist. Jedenfalls: jetzt gilt’s der Kunst. Morgen gehen die Festspiele mit der Ring-Premiere so richtig los. Ich versuche mich jetzt an einer überschaubaren und doch kompletten Zusammenfassung des Inhalts. Bis später.

17.13 Uhr - „Netflix-Ring“? War nicht so gemeint

Alle Augen sind auf Valentin Schwarz, den Regisseur des neuen Rings gerichtet. Wagners „Holländer“ war die erste Oper, die der erst 33-jährige Österreicher (und damit neben Patrice Chereau jüngste jemals zum Bayreuther Ring-Chef ernannte Regisseur) gesehen hat. Damals war er erst neun Jahre alt, ein lebensprägendes Erlebnis: Er studierte Musiktheaterregie in Wien, inszenierte „Turandot“, „Hänsel und Gretel“, „Cosi fan tutte“, „Carmen“ und „Die Banditen“ – aber noch nie Wagner. Dementsprechend groß war das Staunen, als Katharina Wagner ihn 2019 als Macher des damals für 2020 geplanten Rings vorstellte. Ein Novize auf dem Hügel? Gut, dass die Wagner-Urenkelin bislang mit der Wahl ihrer Gastregisseure fast immer ein gutes bis brillantes Händchen bewiesen hatte.

Was aber plant Schwarz? Viel wurde – das wäre auch unüblich – nicht verraten. Am Bayreuther Ring, so sagte Schwarz im Februar der dpa, fasziniere ihn, dass das Werk in nur einer Woche komplett aufgeführt werde. Dies gäbe „uns die Möglichkeit, ein Familienepos in vierteiligem Serienformat zu zeigen und diesen Figuren in ihren Verhältnissen und Versäumnissen durch die Zeitläufte zu folgen.“ Schnell war das Wort vom „Netflix-Ring“ in der Welt. Schwarz weiter: „Ich will eine Geschichte von heutigen Menschen, heutigen Figuren, heutigen Problemen erzählen – und keine von Göttern, Zwergen und Drachen. So sehe er das „Rheingold“ als eine Art „Pilotfilm, der viele Fragen aufwirft, vieles anteasert und gespannt macht auf das, was da noch kommt – auch, wenn man vielleicht noch nicht alles sofort einordnen kann.“

Einen ähnlichen Ansatz – was die Modernität betrifft – hatte Frank Castorf 2013 mit seinem Parforce-Ritt durch das 20. Jahrhundert gewählt. Und auch dort konnte man vieles noch nicht sofort einordnen. Ehrlich gesagt, bis heute nicht (Krokodil?).

Schwarz – so meine Vermutung – wird zugänglicher sein, straighter, leichter zu entschlüsseln. Filmischer eben. Vielleicht im Stil eines Mafia-Dramas wie die „Sopronas“? Als Geschichte rivalisierender Dynastien (wie „Game of Thrones“, nur ohne Trohne)? Düsteres Comig-of-Age wie „Stranger Things“? Politik-Thriller wie „House of Cards“? Morgen Abend wissen wir Bescheid – Hauptsache, es wird kein woker Kitschkram wie „Bridgerton“.

Doch vergangenen Sonntag die Entwarnung. Im Interview mit dem „Spiegel“ stellte Schwarz klar, missverstanden worden zu sein. „Netflix“ sei für ihn keine ästhetische Chiffre, sondern eine Beschreibung für die Sucht, die beim suchtartigen Erleben von Geschichten entstehen kann, gewesen. Und gebinget wird in Bayreuth auf jeden Fall.

Was er genau vorhat, wollte Schwarz den Kollegen nicht verraten (hätte ich auch nicht). Nur so viel: er plant, den Ring so zu erzählen, dass die Figuren tief ausgelotet, verborgene Motive aufgedeckt werden. Diese stecken in den Libretti der Ring-Opern aber vor allem in nicht szenischen, sondern in indirekten Erzählungen. Die werden wiederum häufig etwas zäh als reine Gesangsmono- oder dialoge inszeniert. Gibt es bei Schwarz vielleicht so etwas wie gespielte Rückblicke zu sehen? Das wäre interessant – und schon wieder ganz nah bei der „Netflix“-Ästhetik.

16.48 Uhr - Wer schlief wohl in meinem Bettchen?

In meinem Hotel hängt eine beeindruckende Widmungs-Galerie berühmter Bayreuth-Akteure. Wer wohl schon in meinem Bettchen geschlafen hat? Der Zimmergröße nach zu urteilen, niemand Superstarendes (gendert man das so?), höchstens eine Rheintochter und oder eine nachgeordnete Walküre. Wenn ich morgen nicht mehr schreibe, war es eine Wotanstochter, die mich nach Walhall entführt hat. Sie merken: Die Bayreuther Glückshormone machen albern. Ich gelobe Besserung.

Die strahlende Galerie ehemaliger „Lohmühlen“-Gäste
Die strahlende Galerie ehemaliger „Lohmühlen“-Gäste
Quelle: Peter Huth

16.34 Uhr - Bayreuth führt!

Apropos neue Weltenordnung: Die SpVgg Bayreuth führt zur Halbzeit gegen den HSV mit 1:0.

15.56 Uhr - Darum geht es im „Ring des Nibelungen“

Angekommen, ausgepackt, durchatmen. Bevor wir uns morgen ins Abenteuer stürzen: Worum geht es überhaupt in der 16 Stunden langen Erzählung? Die Storyline kommt später. Hier geht es erst einmal um den Stoff, aus dem der Ring geschmiedet ist. Also: Was will der Autor uns eigentlich sagen?

Ja, es ist eine Familiengeschichte. Wotans Göttersippe auf der einen Seite, Alberichs Nibelungen auf der anderen, eine Story von Vätern, Söhnen und Enkeln. Und einer anstrengenden Ehefrau. Selbstverständlich wird auch der Unterschied zwischen Liebe und Lust verhandelt. Und es wird betrachtet, ob Geld glücklich macht, ob Geschwisterliebe okay oder vielleicht sogar der ultimative Weg ist, einen perfekten Genpool zu schaffen. Es geht auch um militärischen Gehorsam, um Ärger mit Handwerkern und deren Bezahlung, Konversation mit Vögeln, dem Frust von Adoptivvätern, Bruderzwist, Ehebruch und Seitensprung, der Revolution der Metallverarbeitung und um Krokodile. Letzteres bitte schnell vergessen, das war nur so eine Idee von Frank Castorf beim letzten Ring in Bayreuth. Hat bis heute niemand begriffen.

Kern der Handlung aber ist die Rechtsstaatlichkeit, oder in diesem Fall die Rechtsgöttlichkeit. Denn es ist die Geschichte des scheiternden Allvaters Wotan, der sich in bester Absicht (er wollte durch Gesetze, nicht durch Gewalt herrschen) ein derart komplexes Regelwerk auferlegt hat, dass er zunehmend merkt, dass er die Ansprüche, die er der Welt und ihren Wesen auferlegt hat, nicht erfüllen kann – und das auch nie wirklich (vor allem, wenn es um den Eheschwur geht) wollte.

Er erkennt, dass die Zeit für eine neue, freiere moralische Organisation der Welt gekommen ist. Eine, die von den Menschen bestimmt wird. Die stehen bei Wagner für wilde Reinheit, im Gegensatz zur göttlichen Ordnung. Man darf nicht vergessen: Wagner war zeitlebens ein Revolutionär. Kirche und Staat, also die Herrschaft der Institutionen, waren ihm zuwider – obwohl er König und lokalen Behörden ausgesprochen gerne Geld nahm, um sein luxuriöses Leben und vor allem sein Festspielhaus in Bayreuth zu finanzieren. Wagner war ein Mann mit vielen Gesichtern. Und auch einigen Fratzen. Auch dazu später noch mehr.

Symbolisiert wird der Niedergang des Rechtssystems Wotans anhand seines Speeres – einst vom jungen Gott aus einem Ast der Weltesche (die dadurch irreparabel beschädigt wurde) geschnitzt und mit magischen Runen versehen, die Verträge und Regeln verbindlich machen. Auch für den Gottvater selbst, so sehr er auch versuchte, sich den eigenen Gesetzen zu entziehen. Zerschlägt Wotan noch in der „Walküre“ mit dem Speer eine andere von ihm zur Manipulation des Weltgeschehens geschaffene Waffe, das Schwert Notung, ist es in der „Götterdämmerung“ Siegfried, der erste freie Mensch, der sich jenseits der göttlichen Regeln bewegt, der mit dem durch menschgemachte Super-Technik wiederhergestellten Schwert Wotans Speer zerschlägt – das ist die Götterdämmerung.

Am Ende des Rings ist der Fluch des Rings, ausgelöst durch den Raub des Rheingoldes am Anfang der Tetralogie, zwar aufgehoben, das Gold liegt nun wieder im Rhein. Doch es ist nichts mehr wie zuvor. Das mystische Zeitalter ist endgültig beendet. Götter, Zwerge, Riesen, all diese überirdischen Fabelwesen, und ihre Welt gehen unter. Ein neues Zeitalter beginnt – das der freien Menschen, die sich ihre eigenen Regeln und Gesetze machen müssen.

Das ist die Revolution im Ring, der Kern, aus dem das Opus geschmiedet ist. Später heute Abend wird berichtet, wie Richard Wagner das alles in eine spektakuläre Handlung verpackt – ganz grob. Genauere Inhaltsangaben der einzelnen Opern folgen dann an den jeweiligen Spieltagen: Morgen zum „Rheingold“, Montag zur „Walküre“, Mittwoch zum „Siegfried“ und am Freitag zur „Götterdämmerung“.

14.44 Uhr – Bayreuth bunt

Mit nur minimaler Verspätung endlich in Bayreuth angekommen. Die Verspätung war den HSV-Fans geschuldet, die die lange Reise in den Süden auf sich genommen hatten, weil sie hier in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen die SpVgg Bayreuth (3. Liga) mal mit einem Auswärtssieg rechnen können. Der Taxifahrer berichtet von „tausenden Nordlichtern“, die seit dem Morgen die Innenstadt „unsicher machen“. Er selbst sieht sich lieber eine „gepflegte Götterdämmerung“ an. Könnte er eigentlich auch doch ins Stadion, beim HSV das ja oft aufs Gleiche raus. Dazu kommt der Christopher Street Day, auch heute. Und mittendrin wir Wagnerianer. Eine Stadt mit drei bunten Bühnen. Wohlan.

Ich richte mich derweil in der „Lohmühle“ in meiner 15-Quadratmeter-Kemenate für die nächste Woche ein. Und freue mich auf das erste fränkische Bier.

Der Blick aus dem Fenster des Tickerers
Der Blick aus dem Fenster des Tickerers
Quelle: Peter Huth
Das WELT-Büro Bayreuth
Das WELT-Büro Bayreuth
Quelle: Peter Huth

13.11 Uhr – Karten gibt es schon ab fünf Euro

Im Zug von Bamberg nach Bayreuth wird schon eifrig gesungen. Allerdings kein Wagner, sondern Fußball-Gegröle – der Zweitligist HSV spielt im DFB-Pokal gegen Bayreuth. So treffen sich im Regionalzug die Welten: Hier die Trikotträger, dort die Anzugleute.

In den Kommentaren zu diesem Live-Ticker wird auch schon diskutiert – wie üblich geht es dort auch um die Sinnhaftigkeit der Festspiele. Und die Kosten, natürlich die für „den Steuerzahler“.

Dazu einige Zahlen. Die Festspiele sind eine Ausnahme im deutschen Theaterbetrieb. Sie finanzieren sich zu 60 Prozent aus Eigenmitteln, also durch Eintrittskarten, Rechte für Übertragungen, Merchandise. Zum Vergleich: In anderen deutschen Häusern liegt die Quote bei durchschnittlichen 20 Prozent.

Woher kommt der Rest des Geldes? Ein Drittel zahlt der Bund, ein weiteres der Freistaat Bayern, das letzte Drittel teilen sich die Stadt Bayreuth, der Bezirk Oberfranken und die „Gesellschaft der Freunde Bayreuths“ – also die Hardcore-Fans. In absoluten Zahlen sind das insgesamt in der Regel weniger als zehn Millionen Euro. Allerdings: Die notwendigen Sanierungen am Festspielhaus bezuschusst der Bund mit weiteren rund 170 Millionen Euro in den kommenden Jahren.

Und für wen das Ganze? Rund 58.000 Menschen sehen die Festspiele pro Jahr (im vergangenen Jahr wegen Corona nur die Hälfte) vor Ort auf dem Grünen Hügel. Sie zahlen zwischen fünf und 433 Euro, je nach Sitzplatz und Zyklus. Der „Tristan“ wird in dieser Saison zweimal gespielt, der Ring drei Mal, „Tannhäuser“ und „Holländer“ vier Mal und fünf Mal der „Lohengrin“. Tatsächlich sehen und hören die Opern aber tausende Menschen in aller Welt. Es gibt Radioübertragungen und einen Livestream. Die Daten dazu gibt es später in diesem Ticker.

11.55 Uhr: Bayreuth – was bisher geschah

Kurz vor dem Umstieg in Bamberg noch ein kurzer Rückblick. Die Festspiele laufen schon seit Anfang der Woche. Die Eröffnung war bereits am Montag mit Roland Schwabs Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“. Ein gefeiertes Dirigat von Markus Poschner, ein verträumt-romantisches Bühnenbild von Piero Vinciguerra und eine etwas statische Personenregie von Roland Schwab begeisterte die Premierengäste. Hier die Rezension von Manuel Brug. Er erklärt auch, warum es in Bayreuth im ersten echten Nach-Corona Jahr gegen alle Gepflogenheiten neben einem neuen Ring noch eine zweite Neuproduktion gibt – es war eine Absicherung gegen möglichen Corona-Ausfall des Rings. Wacklig ist so ein Festspiel selbst in abklingenden Pandemiezeiten noch. Und einiges brachte das Virus tatsächlich zum Einsturz. Dazu später noch mehr.

Also: Nach dem bejubelten „Tristan“ und ein wenig Spießerempörung in den sozialen Medien über die Auftritte („Dafür haben die also Zeit“, „Alles Schnorrer“, „Wie sehen die denn aus?“) auf dem (wie üblich mit Merkel, Gottschalk, Söder und neu im Programm Ricarda Lang überschaubaren) roten Teppich am Premierentag folgte eine fast einwöchige Pause mit – gelungenem – Nebenprogramm. Aber ohne Oper. Freilich nicht ohne Drama.

MeToo hat Bayreuth erreicht. Mehrere mitwirkende Frauen berichteten über sexuelle Übergriffe auf dem Hügel. Einige handgreiflich, andere Verbal. Zuerst hat der „Nordbayerische Kurier“ berichtet. Festspielchefin Katharina Wagner bestätigte Vorfälle, auch ihre Person betreffend, die sie allerdings abwehren konnte. Sie habe „sehr, sehr deutliche“ Antworten gefunden.

Wer Wagner kennt, weiß, dass man sich mit ihr besser nicht anlegt. Ganz grundsätzlich, übrigens.

Andere Frauen konnten das nicht oder trauten sich aus Angst um ihre Jobs nicht. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen und auch die Festspiele kündigten Konsequenzen an. Das ist richtig, den Schatten über die diesjährige Saison aber kann das natürlich nicht nehmen. Auch darüber wird noch zu reden sein.

Vorerst aber gilt´s der Kunst – und zwar in der Inszenierung des neuen „Ring des Nibelungen“ von Valentin Schwarz. Morgen Abend um 18 Uhr ist es so weit.

11.14 Uhr: Nun sei bedankt, mein lieber Schwan!

Ich freue mich! Es hat tatsächlich noch mit den Karten für den „Lohengrin“ am kommenden Donnerstag, also zwischen „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ geklappt. Schreibt mir gerade Franziska Emmerich von den Bayreuther Festspielen. Von der Inszenierung durch Yuval Sharon und der Ausstattung von Neo Rauch war ich 2018 geradezu überwältigt. Ich bin gespannt, wie sich die Produktion entwickelt hat.

10.21 Uhr: Auf dem Weg ins vollkommene Glück

Wer Loriot zitiert, kann kaum etwas falsch machen. Darum hat auch er hier das erste Wort (und wird auch das letzte haben). Auf die Frage, was für ihn das vollkommene Glück sei, antwortete er: „Bayreuth (Ankunft)“ – Und auf die Nachfrage, was das größte Unglück sei: „Bayreuth (Abfahrt)“. So geht es mir auch – seit vielen Jahren. Zum Wagnerianer wurde ich durch eine flirrende Sommerliebe mit einer musikalischen Seelenszwillingsschwester, die allerdings nicht Sieglinde, sondern Annemarie hieß. Auf jeden Fall in dem Text, den ich vor einigen Jahren für die WELT am Sonntag schrieb.

Nun sitze ich im ICE 703 Richtung München, in Bamberg steige ich um. So die Bahn will – und noch gibt es keine Verspätung – bin ich um kurz vor zwei in Bayreuth, ziehe meinen Koffer zum Bahnhof in Richtung der guten, alten „Lohmühle“, meinem Lieblingsquartier. Einen Tag vor dem „Rheingold“ – denn diesen Vorlauf brauche ich, um vorsichtig einzutauchen in diese eigene, zauberhafte, fast mystische Welt, in der sich alles um Richard Wagner, seine Musik, seine Texte und deren Umsetzung auf der Bühne dreht. Und zwar alles!

Die Familie habe ich in diesem Jahr zuhause gelassen. Vier Opern (vielleicht fünf, wenn es noch mit einer „Lohengrin“-Karte klappt) und ein Konzert in sechs Tagen – das ist ein Vollzeitjob, ein Tieftauchgang in das größte Musikdrama der Geschichte und seine Entstehung. Nur durch volle Konzentration, volle Aufmerksamkeit erringt man den höchsten Genuss.

Ich lade Sie ein, mich auf dieser Reise zu begleiten, ob Sie nun schon Wagnerianer sind, es werden wollen oder Wagner-Skeptiker oder gar – Hasser sind. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich: worum es geht, wird erklärt, für eilige Leser und solche, die tiefer eintauchen möchte.

Was Valentin Schwarz aus dem „Ring“ macht, erzähle ich in den Pausen nach jedem Akt. Falls Sie in Bayreuth sind: Ich bin der Mann im Smoking, Laptop auf dem Schoß und einem Glas in der Hand. Sprechen Sie mich gerne an! Oder schreiben Sie Kommentare. Ich freue mich! (Auch über den Hinweis, dass die Bezeichnung „Kanzlerin“ für Angela Merkel eher protokollarisch zu verwenden ist).

Denn zu Bayreuth gehört die Diskussion. Vieles, was ich in den Pausen und nach den Opern schreibe, werden andere Rezensenten ganz anders sehen. Total anders. Diametral entgegengesetzt. Und sicher werde ich nach nächtlichem Überdenken und träumerischer Verarbeitung auch mal mit Kopfschmerzen über das, was ich geschrieben habe, aufwachen.

Das ist der Spaß an der Sache.

Für die gedruckte WELT berichtet mein geschätzter Kollege Manuel Brug, dessen Texte ich Ihnen sehr empfehle. Er ist der Profi (vor allem, was die musikalische Bewertung betrifft), ich der glühende Laie.

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Bayreuther Festspiele: hier wird der Ring übertragen - WELT
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