Filmaufnahmen des D-Day in Farbe: »Dreht einfach alles, was ihr seht! - DER SPIEGEL

Alliierte Landungsboote auf Filmaufnahmen vom D-Day (koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Blutiges Gemetzel

Alliierte Landungsboote auf Filmaufnahmen vom D-Day (koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Blutiges Gemetzel

Foto: NDR / SPIEGEL TV

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In Hollywood ist der 50 Jahre alte John Ford bereits eine Legende, als er am 10. April 1944 einen besonderen Auftrag übernimmt. Seit Jahren arbeitet er für den amerikanischen Geheimdienst OSS und dreht preisgekrönte Dokumentarfilme über Pearl Harbor, den Krieg im Pazifik und in Nordafrika . Jetzt soll er das größte amphibische Landungsunternehmen der Geschichte dokumentieren: die Invasion der Anti-Hitler-Koalition in der Normandie.

Im Frühling 1944 werden, so ist es geplant, 157.000 britische, amerikanische, kanadische und französische Soldaten aus zwölf weiteren Ländern an der nördlichen Küste des von Nazideutschland besetzten Frankreich landen. Der Angriff soll die deutschen Truppen überraschen und schwächen. Denn klappt die Invasion, müssen die Deutschen nicht mehr nur gegen den Vormarsch der Roten Armee im Osten kämpfen, sondern auch gegen jenen der westlichen Alliierten im Westen. So will man Hitler endlich besiegen.

Ford ist einer der wenigen Menschen, die den genauen Ort und die Planung des »D-Day« kennen, des Stichtags für die Invasion, der schließlich auf den 6. Juni fällt. Aufgrund seiner Spielfilme, Western mit John Wayne oder gesellschaftskritische Dramen mit Henry Fonda, gilt der knorrige Regisseur als Chronist des »amerikanischen Traums«. Seine wahre Größe liege in seiner Fähigkeit, sich mit guten Leuten zu umgeben, sagt Ford über sich selbst. Erst das mache seine Filme gut.

Regisseur John Ford am D-Day: Chronist des amerikanischen Traums

Regisseur John Ford am D-Day: Chronist des amerikanischen Traums

Foto: Spiegel Tv

In England laufen die Planungen der Westalliierten zusammen. In den Denham Filmstudios nahe London bereitet auch Ford generalstabsmäßig den Einsatz für den D-Day vor. Er lässt 152 automatische Kameras in Landungsbooten anbringen, die den ersten Angriff festhalten sollen. Doch es fehlt ihm an qualifizierten Filmcrews und Technikern.

Er bekommt 56 Kameraleute der US-Küstenwache, unter ihnen David T. Ruley, der vor allem in 16 mm Farbe dreht. In Crashkursen bringt Ford britischen und kanadischen Kameraleuten die Grundlagen der Kriegsberichterstattung bei. Das aber reicht ihm nicht – und so kontaktiert er schließlich einen zehn Jahre jüngeren Kollegen aus der Traumfabrik.

Auch George Stevens ist als Regisseur erfolgreich, hat mit Katherine Hepburn, Fred Astaire und Ginger Rogers gedreht. Jetzt arbeitet er mit seinen Kamerateams für die U.S. Army und sagt auf Fords Anfrage hin sofort zu. Eigentlich wäre er am D-Day gar nicht zum Einsatz gekommen. Jetzt soll er sicherstellen, dass auch die Briten und Kanadier erfolgreich in Szene gesetzt werden.

Chaos bei Soldaten und Filmcrew

Die Invasion beginnt am 6. Juni 1944 um 6.30 Uhr. An Bord des Zerstörers USS »Plunkett« glaubt John Ford zunächst, dass alles nach Plan läuft. Doch das Gegenteil trifft zu: Vor allem am »Omaha Beach«, einem der über 70 Kilometer verteilten Strandabschnitte, an denen die alliierten Soldaten an Land gehen sollen, kommt es zu einem blutigen Gemetzel. Trotz alliierter Bombardements sind die deutschen Stellungen weitgehend intakt.

US-Soldaten am Omaha Beach, 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): »All diese seekranken Kids waren Helden«

US-Soldaten am Omaha Beach, 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): »All diese seekranken Kids waren Helden«

Foto: NDR / SPIEGEL TV
US-Fallschirmspringer am 5. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): »Ausreichend großes Ziel für die gesamte deutsche Armee«

US-Fallschirmspringer am 5. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): »Ausreichend großes Ziel für die gesamte deutsche Armee«

Foto: NDR / SPIEGEL TV
US-Soldaten mit erbeuteter Hakenkreuzflagge in der Normandie, 8. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Hitler endlich besiegen

US-Soldaten mit erbeuteter Hakenkreuzflagge in der Normandie, 8. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Hitler endlich besiegen

Foto: NDR / SPIEGEL TV

Der begnadete Geschichtenerzähler Ford schweigt zwanzig Jahre lang, wenn er nach dem D-Day gefragt wird. Offenbar will er sich nicht an die schrecklichen Details erinnern: Die von Kugeln und Granaten zerfetzten Körper, die Schreie der verwundeten Soldaten, das blutgetränkte Wasser.

Seinen Teams, die auf 35 mm Schwarz-Weiß-Material filmen, hat er nur eine Regieanweisung gegeben: »Dreht einfach alles, was ihr seht« – und die haben die Männer offenbar befolgt. Es sind zutiefst verstörende Szenen. Am »Omaha Beach« ist das Chaos so groß, dass die Verantwortlichen nach zwei Stunden überlegen, den Angriff abzubrechen. Um 9.30 Uhr werden 3.000 Tote, Verwundete und Vermisste nach England gemeldet.

Auch Fords Operation läuft nicht glatt: Große Teile des Kameraequipments sind zerstört oder funktionieren nicht. Belichtetes Filmmaterial verbrennt, versinkt im Meer oder ist unbrauchbar, vergleichsweise wenig wird schließlich überhaupt verwertbar sein.

1964 berichtet Ford erstmals dem »American Legion Magazine« über seine Arbeit am D-Day – und bleibt vage: »Meine Erinnerungen sind wie Filmeinstellungen ohne Zusammenhang, Aufnahmen, die darauf warten, im Schneideraum zusammengesetzt zu werden.«

Konkret wird er nur selten, wenn er über die meist jungen Soldaten spricht, die am D-Day im Einsatz sind: »All diese seekranken Kids waren Helden. Ich habe zunächst wenige Tote und Verwundete gesehen und dachte noch, das ist ja seltsam. Später sah ich dann tote Körper im Wasser treiben.« Am Nachmittag geben schließlich auch die letzten deutschen Verteidiger am »Omaha Beach« auf.

Akkordarbeit am Schneidetisch

Auch der von John Ford angeworbene Kameramann der US-Küstenwache, David T. Ruley, wartet am Morgen des 6. Juni auf den Einsatz. Bei Sonnenaufgang ist er auf seiner Position am »Omaha Beach«. In seiner Kodak Cine-Special-Kamera hat er Kodachrome Filmmaterial für drei Minuten und eine zweite Rolle griffbereit, Farbfilm, der zu dieser Zeit bereits schwer zu bekommen ist.

Als der Sturm der Alliierten auf Hitlers »Festung Europa« beginnt, dreht Ruley unter Einsatz seines Lebens spektakuläre Aufnahmen im Sektor »Easy Red«, an dem die Landung in der Normandie zu scheitern droht.

In einem Interview für die Zeitschrift »Movie Makers« beschreibt er später, wie er die Invasion erlebte: »Diejenigen, die im Wasser waren, wurden von Maschinengewehren und leichter Artillerie beschossen, und viele von ihnen erreichten den Strand nicht. Ich weiß noch, dass ich gedreht habe, aber ich will mich nicht erinnern, was genau ich gedreht habe. Um die Kamera ruhigzuhalten, habe ich sie gegen einen Teil des Schiffs gelehnt, der als Deckung diente. Andere Male, wenn ich sie als Handkamera einsetzte, hielt ich meinen Atem für die Dauer der Aufnahme an. Als ich meine Kamera und meinen Kopf – oder zumindest so viel davon, wie nötig war, über das Geländer steckte, schien es mir, dass ich ein ausreichend großes Ziel für die gesamte deutsche Armee war.«

US-Landungsboot vor »Omaha Beach« am 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Endlich eine zweite Front in Europa

US-Landungsboot vor »Omaha Beach« am 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Endlich eine zweite Front in Europa

Foto: NDR / SPIEGEL TV
US-Soldat am »Omaha Beach« am 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Die Welt soll die erfolgreiche Landung sehen

US-Soldat am »Omaha Beach« am 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Die Welt soll die erfolgreiche Landung sehen

Foto: NDR / SPIEGEL TV
»Juno Beach« am 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Verstörende Szenen

»Juno Beach« am 6. Juni 1944 (Filmaufnahme, koloriert für die Doku »24 h D-Day«): Verstörende Szenen

Foto: NDR / SPIEGEL TV

Fords und Ruleys Mitstreiter George Stevens verbringt den D-Day zunächst an Bord des britischen Kreuzers HMS »Belfast«. Von hier aus drehen seine Teams alliierte Schiffe im Kampfeinsatz. Schließlich gehen sie am »Juno Beach« an Land. Auch hier sind Briten und Kanadier ins Kreuzfeuer der Deutschen geraten und haben hohe Verluste hinnehmen müssen. 800 Soldaten gelten hier als verwundet, tot oder vermisst.

Für Stevens beginnt jetzt die eigentliche Arbeit. Er wird die US-Truppen in der Normandie begleiten und schließlich die Befreiung von Paris drehen. Ford dagegen kehrt nach England zurück, um den Schnitt des Filmmaterials vom D-Day zu überwachen.

Am Nachmittag des 8. Juni 1944 erreichen die ersten Filmrollen das Kopierwerk der Denham Studios, das rund um die Uhr im Schichtbetrieb arbeitet. John Ford sitzt ständig im Schneideraum, um das Material zu sichten.

In nur drei Tagen entsteht aus dem Filmmaterial ein Zusammenschnitt von 38 Minuten. Am 12. Juni wird er in England den alliierten Militärbefehlshabern und Premierminister Winston Churchill gezeigt – unzensiert.

Auf brutale Szenen, die man dem heimischen Publikum nicht zumuten will, hat Ford in seinem Zusammenschnitt bewusst verzichtet. Seine spätere Erinnerung, die Zensur sei »gnadenlos« gewesen, lässt sich nicht bestätigen.

Beweise für Diktator Stalin

Es sei »die größte Schneidearbeit überhaupt gewesen«, behauptet er in seinem Interview von 1964, aufwendiger sogar als die Arbeit für den Historienfilm »Kleopatra«. Eine seiner vielen Übertreibungen. Fakt ist: Dem Hollywoodhaudegen blieb damals nicht viel Zeit. Zu groß ist der Druck von ganz oben, der Welt die ersten Aufnahmen von der erfolgreichen Landung der Alliierten zu präsentieren.

Eine Kopie des Films wird nach Washington geflogen und US-Präsident Franklin D. Roosevelt vorgeführt. Eine weitere Kopie bekommt der kanadische Premierminister. Dann verfügt die Zensur einige Kürzungen, die allerdings nur sensible Informationen über Waffensysteme betreffen.

Der in Kiew geborene Anatole Litvak, ein weiterer Hollywoodregisseur im Dienst des US-Kriegsministeriums, wird mit dieser Version zu Josef Stalin nach Moskau geschickt. Der Kremlherrscher soll mit eigenen Augen sehen, dass endlich die zweite Front in Westeuropa steht, die er schon lange gefordert hatte.

Deutscher Kriegsgefangener am 6. Juni 1944 (kolorierte Filmaufnahme aus der Doku »24 h D-Day«): Das Rohmaterial verschwand in staatlichen Archiven

Deutscher Kriegsgefangener am 6. Juni 1944 (kolorierte Filmaufnahme aus der Doku »24 h D-Day«): Das Rohmaterial verschwand in staatlichen Archiven

Foto: NDR / SPIEGEL TV
Deutscher Kriegsgefangener am 6. Juni 1944 (kolorierte Filmaufnahme aus der Doku »24 h D-Day«): Ikonische Bilder

Deutscher Kriegsgefangener am 6. Juni 1944 (kolorierte Filmaufnahme aus der Doku »24 h D-Day«): Ikonische Bilder

Foto: NDR / SPIEGEL TV
Deutscher Kriegsgefangener am 6. Juni 1944 (kolorierte Filmaufnahme aus der Doku »24 h D-Day«): Auf brutale Szenen verzichtet

Deutscher Kriegsgefangener am 6. Juni 1944 (kolorierte Filmaufnahme aus der Doku »24 h D-Day«): Auf brutale Szenen verzichtet

Foto: NDR / SPIEGEL TV

Wenig später schon zeigen Kino-Wochenschauen weltweit die von Ford ausgewählten Szenen und begründen den Mythos des D-Day.

Die schlimmsten Szenen sind wahrscheinlich vernichtet worden. Der Rest des Rohmaterials verschwand in staatlichen Archiven.

Dieses Material wurde jetzt für die Dokumentation »24 h D-Day« von SPIEGEL TV gesichtet und durch die britischen Spezialisten Eddy Sullivan und William Drake aufwendig koloriert.

Für 300 einzelne Einstellungen wurden die originalen Farben der Uniformen, der Waffen und des militärischen Geräts bestimmt. Dazu kamen genaue Informationen etwa über Wetter, Sonnenstand und Gezeiten am 6. Juni 1944. Auch als Experte kann man nicht erkennen, dass das Ausgangsmaterial schwarz-weiß ist.

Das originale Farbmaterial, das David T. Ruley vor dem, am und nach dem D-Day drehte, spielte in der Berichterstattung über den D-Day in den Tagen und Wochen nach der Invasion keine Rolle – anders als die ikonischen Bilder von John Ford.

Dafür gab es technische Gründe: Offenbar konnten die Denham Studios die Farbfilme nicht entwickeln, und so mussten die Rollen ins Kopierwerk von Kodak nach London geschickt werden.

Von einigen Szenen wurden Schwarz-Weiß-Kopien gezogen, die später in Wochenschauen zu sehen waren. Andere Sequenzen fanden erst im Dezember 1944 Eingang in einen Film über die US-Küstenwache (»Beachhead to Berlin«) – und gerieten dann in Vergessenheit.

Ruleys Filme wurden erst 1998 im US-Nationalarchiv bei Washington von SPIEGEL TV entdeckt und veröffentlicht. Für die Dokumentation »24 h D-Day« sind sie restauriert worden und ergänzen das handkolorierte Filmmaterial.

»24 h D-Day« läuft am Montag, 27. Mai, um 20.15 Uhr in der ARD und ist in der ARD-Mediathek  verfügbar.

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